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Alexander Hohmann - Blog
Coaching und mehr
Hochsensibilität bei Männern und Jungen
Das Thema Hochsensibilität ist an anderer Stelle auf dieser Webseite ausführlich
behandelt. Hier geht es spezifisch um die Hochsensibilität bei Männern und Jungen,
wobei in meine Praxis mindestens so viele hochsensible Frauen wie Männer
kommen (und nicht-hochsensible ebenfalls).
Das Thema der männlichen Hochsensibilität ist in Deutschland noch sehr
wenig beleuchtet. Die Literatur ist minimal (vgl. Tom Falkenstein: „Hochsensible
Männer“, Junfermann Verlag), das Seminar- und Beratungsangebot ebenfalls. Die
Medien berichten auch weiterhin bei Hochsensibilitätsthemen über Frauen. Bei
Frauen ist die Hochsensibilität gesellschaftlich schon immer recht gut akzeptiert (man
schaue nur, wer in den alten Kinoklassikern den ganzen emotionalen Ausdruck
übernimmt) - auch wenn hochsensible Frauen es genau so schwer haben wie
hochsensible Männer, da die Belohnungssysteme der Gesellschaft (außerhalb der
Künste) beide noch wenig honorieren.
Gegenüber Männern sind aber auch heute noch Vokabeln wie „Waschlappen“
und „Weichei“ und andere Formen der Geringschätzung nie weit. Und wenige
Frauen haben in ihrem Leben etwas gehört wie “stell dich nicht so an! Sei eine Frau!”
Wohingegen “Sei ein Mann!” eine weiterhin beliebte Maßnahme zur
Männerverhaltenssteuerung bleibt.
Erschwerend kommt hinzu, dass es vielen hochsensiblen Menschen allen
Geschlechts an dem fehlt, was in Deutschland „Selbstbewusstsein“ genannt
wird. Sich als leiser und feinfühliger Mensch im Lärm der Gesellschaft
wiederzufinden und zu positionieren, fällt schwer. In einer aufmerksamkeitsgierigen
Zeit fühlen sich zurückhaltende Menschen unsichtbar, schlimmstenfalls überflüssig.
Umso wichtiger ist es, innere Ressourcen zu erkunden und in gutem Kontakt mit sich
selbst zu sein. So bleibt man in der eigenen Mitte und lässt sich durch äußere
Verletzungen nicht mehr so leicht aus dieser inneren Mitte stoßen. Das kann man
aufbauen.
Dr. Elaine Aron schreibt etwa in ihrem Buch über hochsensible Menschen in
der Psychotherapie, dass es vielleicht nicht zwei, sondern vier Geschlechter
gibt, nämlich Frauen, Männer, hochsensible Frauen, hochsensible Männer, und dass
es von der kulturellen Akzeptanz her die hochsensiblen Männer wahrscheinlich am
schwersten haben. Wenige Frauen wissen, auf wie viele Weisen das Erleben dieser
Männer dem vieler Frauen ähnelt.
Tückisch ist auch, dass viele Eigenschaften, die mit einer hohen
Empfindsamkeit einher gehen, kulturell gern als “weiblich” bezeichnet werden
- so als müsste man die eigene Männlichkeit ablegen (oder sogar verraten), um die
eigene Empfindsamkeit zu erleben. Das liegt daran, dass die klassischen männlichen
kulturen Vorbilder (und Klischees) meistens emotional betäubt erscheinen. Der
fehlende Zugang nach innen erlaubt es dem Helden, sich ganz auf die Aufgaben und
Bedrohungen im Außen zu fokussieren - ohne emotionale Ablenkungen. Für das
Überleben der Spezies mag das sogar über lange Zeit sinnvoll gewesen sein, sonst
hätte die Kultur diese Vorbilder nicht so lange unterhalten und Abweichende nicht so
systematisch abgewertet. Die Gleichsetzung von hoher Empfindsamkeit und
Weiblichkeit ist heute aber eine der zahlreichen kulturellen Programmierungen, die
wir noch überwinden müssen. Männer haben nicht minder als Frauen einen
Anspruch auf ein reiches Innenleben. Und jede Emotion ist schon dadurch
ausreichend legitim, dass sie erscheint und eine Botschaft aus dem Inneren ist. Bei
der erforderlichen Wiedervereinigung des männlichen und des weiblichen Prinzips
(was auch immer Sie darunter verstehen möchten) könnten somit hochsensible
Männer eine wichtige Vorreiterrolle spielen und wissen es noch gar nicht. Sie
könnten auch eine wichtige Rolle darin haben, das Beste in Frauen aufblühen zu
lassen.
Das bessere Lernen des Zugangs zu den eigenen Emotionen funktioniert am
besten im sicheren Raum. Und das heißt: Mit Menschen, mit denen Sie sich
sicher fühlen und nicht Urteil und Beschämung befürchten müssen. Die
Partnerschaft ist oft nicht dieser sichere, urteilsfreie Raum. Besser klappen die ersten
Schritte mit männlichen Freunden oder einer Männergruppe, bevor Sie die neuen
Erfahrungen in die Partnerschaft mitbringen. Die wichtige Frage, die Sie sich stellen
können, ist: “Könnte ich diesem / diesen Menschen alles sagen? Würde ich ihnen
auch meine Verwundbarkeiten und Schattenseiten zeigen können, ohne zu
befürchten, dass ich mich danach schämen muss?” Wenn Sie diese Fragen mit Ja
beantworten können, vereinbaren Sie doch einmal ganz offen, dass Sie sich
einander mehr öffnen und ehrliches und möglichst wertungsfreies Feedback darüber
geben, wie Sie Dinge erleben. Und Sie können versuchen, den Dingen, die Sie
fühlen, einen Namen zu geben, um so ihren Blick auf Ihr Innenleben und Ihre
Unterscheidungsfähigkeit zu schärfen. So steigt dann aus einem bisher dumpfen
inneren Grollen vielleicht eine ganze Palette an differenzierten Empfindungen empor.
Das mag sich manchmal noch ein bisschen kindlich anfühlen, wie eine “Emotions-
Alphabetisierung”, aber das ist in Ordnung. Denn immerhin sind das Dinge, die
vielleicht weder Ihr Vater, noch Ihre Großväter, noch andere männliche Ahnen jemals
konnten. Da leisten Sie Pionierarbeit.
Für hochsensible Männer besonders wichtig ist es, einen Sinn in ihrem Dasein
zu erkennen. Wofür bin ich hier? Nicht selten ist da ein Gefühl, eine Art “Mission” zu
haben. Und diese “Mission” hat meistens damit zu tun, sich in den Dienst anderer
Menschen oder der Menschheit oder anderer Lebenwesen zu stellen. Hochsensible
Menschen haben nämlich häufig wenig Interesse an den “offiziellen” Erfolgskriterien
Geld, Macht und Ruhm. Das Leben als hochsensibler Mann kann sehr schwierig und
leer sein, wenn man sich diesem Sinn des eigenen Daseins nicht bewusst wird oder
zu weit davon entfernt lebt. Hat der hochsensible Mann seinen Weg gefunden und
beschreitet er ihn, kann er trotz aller Hürden viel Erfüllung finden. Das braucht seine
Zeit. Geduld ist eine sinnvolle Verbündete. Gerade Jungen und jungen Männern,
die mit ihrer Hochsensibilität hadern, sei daher gesagt: Es wird mit der Zeit
immer besser.
Vielleicht gibt es viele, viele Dinge, die Sie nach Ihrem Gefühl her noch mit
niemandem teilen konnten, die Sie noch nie jemandem gesagt haben, weil noch
keine Frau, noch kein Mann Ihnen den Eindruck gab, das hören zu wollen oder
einfach mal akzeptieren zu können. Unmöglich ist das aber nicht, egal ob Sie 25, 50
oder 75 Jahre alt sind. Warum diese Ideen, Ansichten, Erkenntnisse nicht einmal mit
einem Mann teilen, der vielleicht ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hat und Sie
ganz bestimmt nicht dafür abwerten wird, sondern mit Ihnen zusammen erforscht,
wie es von da aus weiter geht? Was könnte sich dann alles zum Besseren wenden?