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Die Kehrseiten der Empathie Hochsensible und Narzissten: leider ein Klassiker Vantage Sensitivity Hochsensibilität wird vom Umfeld nicht immer gut erlebt Hochsensibilität als Ausrede Ein instabiles Selbst(bild) Konfliktvermeidung verhindert Fortschritte in Beziehungen und Persönlichkeitsentwicklung Die Gefahr der angestauten Ressentiments Die Gefahr der Lebensvermeidung Die Suche nach dem Selbstvertrauen am falschen Ort Die Beschreibungen der Menschen mit Hochsensibilität, die im Netz kursieren, scheinen manchmal fast engelhafte Wesen abzubilden, ein bisschen zu verletzlich für diese harte Welt. Wenn sie von Hochsensiblen geschrieben sind, sind manche Beschreibungen auch nicht frei von Selbstbeweihräucherung (und vielleicht ist auch diese Webseite nicht ganz frei davon). Tatsächlich birgt die Hochsensibilität etliche hochwertige Eigenschaften, von denen die Welt dringend mehr bräuchte. Doch so einfach kann es nicht sein. Wo Licht ist, ist auch Dunkelheit. Man kann vom eigenen “Schatten” wegschauen, d.h., von den Seiten, die man bei sich selbst verdrängt, weil sie einem schönen Selbstbild schaden. Doch das Wegschauen hat einen Preis. Den eigenen Schatten sollte man besser im Blickfeld behalten, sonst wirkt er aus dem Hintergrund oder projiziert sich auf andere. Derzeit gibt es noch sehr wenig Forschung über die dunkle Seite der Hochsensibilität. Hier sind ein paar mögliche Schattenseiten aufgeführt.

Die Kehrseiten der Empathie

Eine der wichtigsten Eigenschaften, die in Verbindung mit Hochsensibilität genannt wird, ist Empathie. Empathie wird zwar oft gefeiert. Sie ermöglicht, sich in andere Menschen einzufühlen und ein Echo ihrer Empfindungen zu fühlen. Teilweise erlaubt Empathie sogar, unterdrückte Gefühle des Gegenübers zu „empfangen“. Das kann in Coaching und Therapie sehr sinnvoll eingesetzt werden, um den Klienten diesen unbewussten oder verdrängten Teil ihres Innenlebens zu spiegeln: So können sie dieser Anteile bewusst werden und sie sich wieder aneignen. Neben der Gefühlsebene hat Empathie auch eine kognitive Ebene: In einer fortgeschrittenen Form ermöglicht sie, sich gedanklich in die andere Person hinein zu versetzen statt nur im unmittelbaren Fühlen zu bleiben. (Vgl. Serge Tisseron, „Empathie et Manipulation“, Paris, 2020.) Denn die emotionale Empathie richtet sich vor allem auf Menschen und Objekte, in denen wir uns ein Stück weit selbst wiedererkennen. Die kognitive Empathie macht möglich, diesen Kreis auszudehnen: Mit ihrer Hilfe können wir uns in die Lebensumstände völlig anderer Menschen hinein denken. Auf diese Weise verstehen wir sie besser, statt sie nach den eigenen Maßstäben oder aus dem Gefühl des Moments heraus oder nach gesellschaftlichen Programmierungen zu beurteilen bzw. verurteilen. Erst mit der kognitiven Empathie bekommt die Empathie eine echte Unterscheidungsfähigkeit. Manche Menschen sind uns zu fremd oder zu unsympathisch, damit unsere emotionale Empathie “anspringt”. Und erst die kognitive Empathie erklärt uns, warum sie dennoch unsere Empathie verdienen. Vielleicht irritiert uns jemand durch eigenartige Verhaltensweisen. Es baut sich keine Empathie auf. Wir wünschten, diese Person wäre weg. Doch dann erfahren wir, durch welche Traumata sie zu dem wurde, was sie heute ist. Dieses Wissen baut eine kognitive Empathie auf, die dann auch einen Raum für emotionale Empathie herstellt. Und umgekehrt kann uns unsere kognitive Empathie auch warnen, dass wir gerade unsere emotionale Empathie den falschen Personen zukommen lassen, weil unser Denken manipulative Absichten aufdeckt. Empathie hat aber auch Kehrseiten. Ob Empathie gut oder nicht gut ist, hängt davon ab, zu welchem Zweck sie eingesetzt wird. Erst einmal schließt eine emotionale Empathie für Nahestehende keineswegs eine starke Abneigung gegenüber Fremden aus. Die hohe Empathie gegenüber der eigenen Gruppe senkt womöglich die Empathie gegenüber Außenstehenden. Diese Abneigung muss durch kognitive Empathie korrigiert werden, also dadurch, dass man sich in den anderen nicht nur hinein fühlt, sondern auch hinein denkt. Empathie kann ausgenutzt werden. So haben zum Beispiel alle Menschen in helfenden Funktionen und Berufen ihre Geschichten darüber, wie bestimmte Kunden, Klienten und Patienten aus reinem Eigennutz an ihre Empathie appelliert haben. Und Empathie ist eine Informationsquelle. Was, wenn eine empathische Person zugleich eine manipulative Seite oder eine psychische Störung hat? Sie kann dann ihre Empathie als wirksames Instrument benutzen, um Informationen über das intime Innenleben, die Schwächen, Ängste und Sehnsüchte anderer Menschen zu gewinnen und sie wirksamer manipulieren. Empathie ist wie jedes andere Werkzeug. Sie kann Schaden anrichten, wenn sie mit unlauteren oder eigennützigen Absichten eingesetzt wird.

Hochsensible und Narzissten: leider ein Klassiker

Hochsensible Menschen tendieren dazu, mit Narzissten allen Geschlechts zusammenzukommen. Die empathische Zuwendung der hochsensiblen Person zieht Narzissten an und gibt ihnen Nahrung. Wenn der hochsensible Mensch eines Tages endlich seine Hoffnung aufgibt, sein Gegenüber „retten“ oder ändern zu können, besteht die Beziehung schon eine Weile. Die Überwindung zur Trennung fällt umso schwerer. Die Beziehung ist zwar ungesund, aber auch vertraut. Irgendeine weitere Ausrede findet sich immer. Sie bleibt vielleicht auch noch bestehen, wenn für Außenstehende überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist, warum „die noch zusammen sind“. Das Schema wird auch dadurch unterstützt, dass hochsensible Menschen ihre Grenzen schwer ziehen können weil sie sie selbst nicht gut kennen. Sie richten sich häufig nach außen aus, bis hin zur Selbstaufopferung. Das Gegenstück dazu wäre, ein reiferes, autonomeres, mit sich selbst ehrlicheres Selbst aufzubauen, ein höheres Bewusstsein der eigenen Grenzen und der eigenen Werte zu entwickeln und dafür einzustehen, und auch eine Fähigkeit aufzubauen, die eigene Gefühlswelt besser zu lesen, damit sie nicht mehr von anderen manipulierbar ist. Denn es steckt womöglich auch etwas Kindliches, manchmal sogar Trotziges in dieser Außenorientierung des Selbst. Man erkauft sich vielleicht einen gewissen Grad an Anerkennung und Mitgefühl im Umfeld, manipuliert es vielleicht sogar. Aber dahinter steht auch die Weigerung, einen höheren und angemesseneren Grad der Reife und persönlichen Souveränität anzustreben. In der Entscheidung, jemanden “retten” oder auf andere Weise verändern oder “heilen” zu wollen ohne dafür einen Auftrag erhalten zu haben, liegt auch etwas Übergriffiges. In dem Glauben an die eigene Kraft, den anderen Menschen “heilen” zu können, liegt vielleicht auch etwas… Narzisstisches. (“Ich weiß besser als dieser Mensch, was für ihn gut ist.”) Zumindest kann es so wahrgenommen werden. Man mag sagen, diese Aufopferung und Außenorientierung sei vielleicht traumatisch bedingt, weil das eigene Selbst zu schwach ist. Aber ist ein pathologischer Narzissmus das nicht auch? Hier wird ein Tanz zu zweit getanzt, zu zweit genährt, zu zweit verlängert. Da passen Dinge zusammen. Warum? Das paradoxe Geschenk der Narzissten an das empathische Gegenüber besteht darin, ihm das Leben so zunehmend unerträglich zu machen, bis er oder sie endlich den überfälligen Reifungssprung tätigt, und den anstrengenden Schritt tut, das eigene Selbst besser zu definieren und damit narzissistischen Manipulationstechniken nicht mehr so viel Windfläche zu bieten. Übrigens ziehen Hochsensible nicht nur Narzissten an, sondern auch andere “Energiesauger”, die sich an ihnen nähren. Das können etwa Menschen sein, die sehr Ich-zentriert sind, gerne reden und das Zuhören lieber den anderen überlassen. Wenn der hochsensible Mensch sich nicht dazu überwindet, diesen Menschen die Grenzen zu zeigen, wird er zur “Energietankstelle” für Egozentriker aller Couleur. Auch hier besteht das Risiko, ungesunde Situationen durch Mitwirkung zu stützen. Zuletzt sei noch gesagt, dass der Vorwurf des “Narzissmus” gegenüber anderen heutzutage inflationär gebraucht wird, zum Beispiel um nach einer beendeten Beziehung die gesamte Verantwortung für das Scheitern auf die andere Person abzustreifen. Überhaupt sollte man vorsichtig damit sein, psychologische Diagnosen über Mitmenschen aufzustellen, und den Blick auch mal den eigenen narzisstischen Anteilen zuwenden.

Vantage Sensitivity / Differential Susceptibility

Eine Eigenschaft der Hochsensibilität liegt in der sog. „Vantage Sensitivity“ oder “Differential Susceptibility”, also einer intensiveren Reaktion auf positive und negative Umfelder: Hochsensible Menschen werden von einem wohlgesinnten und unterstützenden Umfeld überdurchschnittlich positiv beeinflusst. Jedoch wirkt ein negatives Umfeld auch überdurchschnittlich schädlich auf sie. “Vantage Sensitivity” / “Differential Susceptibility” bedeutet also eine erhöhte Sensitivität auf das Umfeld - im Guten wie im Schlechten. Die negative „Vantage Sensitivity“ kann den Menschen tatsächlich in große Tiefen fallen lassen, wenn er seinem negativen Umfeld ausgeliefert bleibt (oder ausgeliefert zu sein glaubt). Die Gefahr besteht darin, den Fokus zu sehr auf die negative Seite zu setzen. So übersieht man, dass ein schlechter innerer Zustand kein unausweichliches Schicksal sein muss, und geht vielleicht zu selbstzerstörerischen Verhalten über. Doch auch bei einem zunächst traumatischen Werdegang kann allein schon ein Wechsel in ein positiveres Umfeld bei Hochsensitiven große Heilkraft entfalten. “Vantage Sensitivity” bringt also auch eine verstärkte Resilienz mit sich. (Übrigens ist die Fokussierung auf die Schattenseite der “Vantage Sensitivity” wahrschenlich auch ein Grund, warum auch heute noch Teile der Psychologie Hochsensibilität mit “Neurotizismus” verwechseln und sagen, Hochsensibilität gebe es an sich gar nicht. Neurotizismus ist eine der fünf Persönlichkeitsmerkmale aus dem “Big Five”-Persönlichkeitsmodell und beschreibt einen Hang zu negativen Emotionen.)

Hochsensibilität wird vom Umfeld nicht immer gut erlebt

Hochsensitive Kleinkinder können für ihre Eltern sehr anstrengend sein. Die Kinder müssen erst lernen, mit den starken Reizfluten umzugehen. Sie reagieren zunächst mit viel Weinen und Schreien und fordern ein mehr Beruhigung und Geborgenheit. Erst später kommt die Sprache hinzu und ermöglicht, die Dinge zu relativieren. Nicht alle Eltern haben die mentalen Werkzeuge oder einfach die Nerven, um damit gut umgehen zu können. Wenn sie mit dem Thema der Hochsensibilität nicht vertraut sind, können sie das Gefühl bekommen, ihr Kind stelle sich an und wolle ihnen das Leben schwer machen, vielleicht als kleiner Tyrann einen Machtkampf gegen sie austragen. Dabei sind die Kinder einfach von einer Reizflut überfordert und müssen den Umgang damit erst noch trainieren. Im späteren Leben können sie sehr zugewandte Kinder sein, an denen ihre Eltern viel Freude haben - voraus gesetzt, es ist am Anfang nicht zu vieles kaputt gegangen. Auch im späteren Leben besteht reichlich Raum für Missverständnisse. Wenn Hochsensible / Hochsensitive / Neurosensitive etwa auf Stress durch Tränen oder Rückzug reagieren, können andere Personen das persönlich nehmen oder meinen, dieser Mensch sei wohl “aus Porzellan”, und sich über “dieses überempfindliche Gehabe” ärgern. Dabei sind es spezifische Reaktionen auf einen vorübergehenden Stau an neurologischen Reizen, die noch unverarbeitet sind. Wenn dieser Stau größer wird, kann schon ein kleiner Stress eine Reaktion auslösen, die für andere schwer verständlich ist. Überreizung führt zu Reizbarkeit. Wer seine eigene Hochsensibilität nicht versteht und sie seinem Umfeld nicht erklärt, riskiert also zahlreiche Missverständnisse - privat, in der Partnerschaft und im Beruf.

Hochsensibilität als Ausrede

Hochsensibilität wird langsam zum Modethema. Zunehmend wird damit auch kokettiert, man will sich damit als etwas Besonderes darstellen, oder es wird zu einer passiv- aggressiven Einstellung. Oder man versucht, bestimmte Verhalten mit der Hochsensibilität zu rechtfertigen, obwohl die Hochsensibilität, wie sie von Elaine Aron und anderen definiert ist, im Bereich der Sinneswahrnehmungen und nicht der Verhalten liegt. Daher auch der wissenschaftlicher Name “Sensorische Verarbeitungssensitivität”. Es teilen zwar viele Menschen einen Hochsensibilität (laut Elaine Aron sind das 15 bis 20% der Menschheit). Aber die Verhalten, die jede und jeder für sich daraus ableitet, hängen von den eigenen, individuellen Entscheidungen ab und sind nicht durch eine Hypersensitivität vorbestimmt. Wenn jemand allzu gerne seine Hochsensibilität betont, kann es in manchen Fällen sein, dass damit die anderen dazu gebracht werden sollen, dass sie sich an die Bedürfnisse der vermeintlich hochsensiblen Person anpassen, sie mit Samthandschuhen anfassen, nicht zu viel von ihr fordern. Das kann in Richtung Manipulation und sogar Narzissmus gehen. „Nicht ich muss meinen Platz in der Welt finden, sondern alle anderen müssen sich an mich anpassen. Ich bin ja so sensibel.“ Oder es wird daraus eine Ausredenkultur und Opferrolle gestrickt, die zwar zunächst komfortabel ist. Aber wie jede selbst gebastelte Opferrolle läuft sie letztlich auf eine Selbstentmachtung hinaus, statt die persönliche Souveränität zu stärken. Was bleibt am Ende? Selbstverschuldeter Stillstand. Dem Selbstwertgefühl tut das nicht gut.

Ein instabiles Selbst(bild)

Das Selbst eines Menschen ist ein System. Ein gesundes System braucht gesunde Grenzen. Hochsensible können sich innerlich kaum von ihrem Umfeld isolieren. Sie saugen die Reize aus dem Umfeld auf. Durch diese Zwangsverbundenheit weht auch ein ständiger Luftzug durch die Persönlichkeit. Die Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt verschwimmen. Das Selbst(bild) kann instabil sein, weil äußere Einflüsse es immer wieder beeinflussen und in eine andere Richtung verschieben. Was gestern noch als wahr und verlässlich erschien, kann heute wieder in Frage stehen. Die spirituell Interessierten mögen sagen, dass das Fließende dem wahren Selbst mehr entspricht als das Feste. Das Fließende passt sich den Herausforderungen besser an. Es gibt Schwierigkeiten zu überwinden, aber hinterher kehrt man zu einer inneren Heimat zurück, einem Ort der Stabilität, einem festen Persönlichkeitskern. Aber was ist, wenn da wenig Stabiles im Inneren zu sein scheint? Wenn sowohl die innere als die äußere Welt als ständig unbeständig erlebt werden, kann es schwer werden, bei sich diesen verlässlichen, stabilen Persönlichkeitskern zu finden, von dem aus das Leben aufgebaut werden kann. Vielleicht wird irgendwann die Hoffnung aufgegeben, doch einmal das eigene Leben meistern zu können. Und wer die eigenen Grenzen nicht gut erkennen kann, kann das wahrscheinlich auch nicht bei den anderen. So kann es sein, dass ein hochsensibler Mensch jemand anderen in einem schlechten Zustand sieht und voller Empathie und Hilfsbereitschaft auf ihn zugeht, aber Wut und Ablehnung kassiert. Warum? Weil es zu früh war: Wenn man jemandem zu nahe kommt, ohne vorher eine belastbare Vertrauensbezieheung aufzubauen, ist das ein unerlaubtes Eindringen in die Intimsphäre des Mitmenschen und aktiviert dessen Selbstschutz. Wer diese Erfahrung der Ablehnung öfters macht, kann irgendwann mit der Vermeidung von Nähe reagieren. Dabei wäre es sinnvoller, sich darüber Gedanken zu machen, wo die eigenen Grenzen liegen, wo die Grenzen der anderen liegen, und dass es nicht einfach Nähe oder Nicht-Nähe gibt, sondern dass sich Nähe in Stufen und ohne Hast aufbaut, genauso wie sich Grenzen in Stufen abbauen.

Konfliktvermeidung verhindert Fortschritte in

Beziehungen und Persönlichkeitsentwicklung

Der Hang zur Konfliktvermeidung entsteht insbesondere daraus, dass unangenehme Situationen für Hochsensible tief erlebt werden und lange nachklingen, manchmal Tage, Wochen, Jahre lang. Das Vermeiden von Konflikten kann beispielsweise dazu führen, dass manche Hochsensiblen Unrecht sehen oder erleben und nichts tun, und dass sie eine schädigende Situation durch Stillschweigen letztlich mittragen. Auf der Schattenseite der Hochsensibilität kann eine gewisse Feigheit und Bereitschaft für Ausreden stehen - und das sei hier mit viel Respekt gesagt, von jemandem, der das von sich selbst kennt. Und wer auch eine Gehaltsverhandlung als Konfrontation sieht, setzt sich vielleicht nicht für ein besseres Einkommen ein, erbringt zwar Leistung, bekommt dafür aber keine gebührende Gegenleistung, und endet womöglich in der inneren Kündigung oder gerät in den Kreis der Selbstabwertung. In Beziehungen kann der Hang zur Konfliktvermeidung dazu führen, dass sich langsam das Gift des Nichtgesagten und des Grolls ansammelt, statt dass erforderliche Entwicklungen und Veränderungen angestoßen werden. Die Beziehung sollte einen neuen Reifegrad erreichen, aber der Anstoß dazu kommt nicht. Gerade die Themen, die man sich nicht anzusprechen traut, sind oft der Keim künftiger Krisen, an denen die Beziehung letztlich zerfällt. Beziehungen sind auf dem Pfad menschlicher Entwicklung wichtige Fortbildungsangebote des Lebens. Vor lauter Konfliktvermeidung in Beziehungen kann es sein, dass das Leben uns Lehren auf den Weg mitgeben will und diese Lehren nicht ankommen. Und so verlaufen und enden dann aufeinander folgende Beziehungen immer wieder auf ähnliche Weise. Wir sind dann vielleicht so darauf fokussiert, den verschiedenen Partnern oder Partnerinnen die Schuld zu geben, dass wir für unsere eigenen Verhaltensmuster blind bleiben. Und auch dafür, wie sehr die Verhalten der anderen vielleicht auch Reaktion auf unsere eigenen sind. Wir sehen deutlich, was andere uns antun, aber nicht die Schattenseite, nämlich was wir den anderen antun. Dass da ein Beziehungsmuster vorliegt und abgelegt werden sollte, wird, wenn überhaupt, erst nach mehreren schmerzlichen Durchgängen deutlich.

Die Gefahr der angestauten Ressentiments

Hochsensible Menschen erleben öfter als andere erniedrigende Situationen. Denn sie tun sich schwerer als andere, ihre Grenzen zu setzen oder überhaupt zu sehen. Daher werde diese Grenzen öfter übertreten – manchmal auf sehr grobe Weise. Oder der hochsensivitive Mensch, oft kreativ, liefert Ideen und sieht, wie andere sie sich aneignen. Weil bei Hochsensibilität Verletzungen ein Leben lang unausweichlich sind, und weil sie lange nachklingen, ist es wichtig, zu lernen, mit ihnen umzugehen und sie kreativ umzuwandeln. Ohne diese innere Alchemie, die diese negativen Stauungen in etwas Höherwertiges verwandelt, können Selbstverachtung, Gefühle der Ohnmacht und Ressentiments entstehen. Unangenehme bis traumatische Erlebnisse führen vor allem dann zu Langzeitfolgen, wenn dabei auch Machtlosigkeit bzw. Ohnmacht erlebt wird. Dann setzen sie sich nämlich erst recht in der bewussten oder unbewussten Erinnerung fest. Es lauern möglicherweise Traumaspätfolgen und Depressionen. Oder es entsteht ein Gefühl, dem Leben weitgehend ausgeliefert zu sein, statt ihm selbstwirksam zu begegnen. Und Ressentiments können sich anstauen, zu Vorurteilen und schlimmstenfalls Rachegelüsten werden. Die müssen zwar nicht ausgelebt werden. Aber manchmal werden sie es. Hochsensibilität schließt keineswegs unsensibles Handeln aus. Und sie schließt auch Gewalt nicht aus, gegen andere oder sich selbst. Um dem beizukommen, ist ein ehrlicher Blick auf diese verdrängten Regungen in den dunklen Winkeln der Persönlichkeit, also “Schattenarbeit” nötig.

Die Gefahr der Lebensvermeidung

Dass das Erleben unangenehmer Situationen oder intensiver Reizfluten so anstrengend ist, kann zur Meidung einer wachsenden Zahl an Situationen führen, nur weil dort die theoretische Möglichkeit besteht, sich schlecht zu fühlen. So könnte man viel Spaß auf der nächsten Party haben und interessante Leute treffen, geht aber gar nicht mehr zu Partys. Am Ende können wesentliche Aspekte und ganze Bereiche des Lebens in die zunehmend lebensfressende Vermeidungszone verbannt sein. Es wird nur noch ein weitgehend verstecktes Dasein geführt. Der Mensch kann sich dadurch weit weg von seiner Berufung bringen, und auch interessante Begegnungen aufgeben. Oder sein Leben kann zum Stillstand kommen – bis hin zur Selbstaufgabe oder zum Suizid als ultimative Lebensvermeidung. Diese Lebensvermeidung muss nicht, kann aber mit einer Opferhaltung oder Verbitterung einher gehen. Die eigene Lebensvermeidung wird erträglicher gemacht, indem anderen oder der ganzen Gesellschaft die Schuld gegeben wird. Verpasste Begegnungen aller Art tun weniger weh, wenn man sich sagt, dass die anderen ohnehin Idioten sind. Solch eine Einstellung kann auch eine Belastung für Nahestehende sein, die der hochsensiblen Person Lebendigkeit und das Erleben ihrer Berufung wünschen, aber damit immer wieder ins Leere laufen. Es kann aber auch sein, dass es kaum Nahestehende gibt, sondern vor allem Einsamkeit. Oder vielleicht wird ein Angepasstsein bis hin zum Konformismus gelebt. Die eigene Kreativität findet keinen Platz mehr und diese Abkehr wird durch Ausreden erträglicher gemacht - oder durch das üppige digitale Unterhaltungsangebot, das die Lebensvermeidung deutlich leichter (und verlockender) macht. Die Lösung besteht in der Regel darin, sich genau dem zuzuwenden, das man bisher vermied, und beschließt, den damit verbundenen Schmerz für eine Weile auszuhalten, bis er ausklingen kann. Oft ist das gar nicht so schlimm: Sobald man etwas anschaut, vor dem man Angst hat, wird es ein ganzes Stück kleiner. Und vielleicht will es uns nicht einmal schaden und es war alles nur ein Missverständnis. Wenn der hochsensible Mensch nicht irgendwann über seinen Schatten springt und wieder zur Selbstwirksamkeit und persönlichen Souveränität findet, kann er in die innere Leere bis hin zur Depression rutschen. Eine schwierige Situation überwunden und gemeistert zu haben ist eines der höchsten Gefühle. Den Mut dafür aufbringen fällt leichter, wenn man Unterstützung hat - aus dem privaten Kreis oder Therapeuten bzw. Coachs.

Die Suche nach dem Selbstvertrauen am falschen Ort

Vielen hochsensiblen Menschen mangelt es an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, und sie kommen in die Spirale der Vermeidungen und ärgern sich vielleicht darüber, dass sie so wenig Selbstvertrauen besitzen. Es kann der Fehlglaube entstehen, Selbstvertrauen könne man sich vielleicht herbei lesen oder durch Webinare oder Motivationswochenenden nachhaltig aufbauen. Aber wie soll wahres Selbstvertrauen etwas sein, das von außen kommen kann? Das wäre doch nur eine Abhängigkeit von den anderen und davon, was sie tun, sagen und denken. In Wirklichkeit hat es mit Handeln und mit dem Aufbau innerer Einheit zu tun. Um dem Mangel an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl entgegen zu wirken, sollten Hochsensible Mut fassen, ins Handeln kommen, dabei Lehren sammeln und Fähigkeiten aufbauen und entdecken, welche inneren Uneinigkeiten durch das Handeln aufgedeckt werden und wieder versöhnt werden wollen. Manche Menschen sind durch das Bewahren ihres Urvertrauens mit Selbstvertrauen gesegnet. Für die anderen entsteht es aus dem Handeln und der dabei gemachten Erfahrung, dem Leben mit zunehmender Kompetenz zu begegnen. Je mehr Situationen gemeistert werden, desto mehr Vertrauen entsteht, auch mit dem Rest fertig zu werden. Und es ist ein nachhaltiges Selbstvertrauen, weil es von innen entsteht. Und jede festgestellte Fähigkeit, jede aufgedeckte innere Ressource, jede Erfahrung und jede Freude am Können ist wie ein Puzzlestück. Irgendwann sind ausreichend Puzzleteile vorhanden, damit sich ein Gesamtbild abzeichnet, das den eigenen Weg weist. Selbstvertrauen entsteht, wenn man sich auf den eigenen Weg begibt, eine Hürde nach der anderen meistert und dabei wohlwollend auf die eigenen Anfängerfehler schaut, das eigene Kompetenzerleben und die eigene Freude am Können aufbaut und dadurch die eigene Weltreichweite Schritt für Schritt ausdehnt. Lesen Sie auch: Coaching für hochsensible Menschen Hochsensibilität am Arbeitsplatz und im Management Weitere Artikel und Blogs Ablauf einer ersten Coachingsitzung Kontakt und Terminvereinbarung

Alexander Hohmann - Blog

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Alexander Hohmann

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Die Kehrseiten der Empathie Hochsensible und Narzissten: leider ein Klassiker Vantage Sensitivity Hochsensibilität wird vom Umfeld nicht immer gut erlebt Hochsensibilität als Ausrede Ein instabiles Selbst(bild) Konfliktvermeidung verhindert Fortschritte in Beziehungen und Persönlichkeitsentwicklung Die Gefahr der angestauten Ressentiments Die Gefahr der Lebensvermeidung Die Suche nach dem Selbstvertrauen am falschen Ort Die Beschreibungen der Menschen mit Hochsensibilität, die im Netz kursieren, scheinen manchmal fast engelhafte Wesen abzubilden, ein bisschen zu verletzlich für diese harte Welt. Wenn sie von Hochsensiblen geschrieben sind, sind manche Beschreibungen auch nicht frei von Selbstbeweihräucherung (und vielleicht ist auch diese Webseite nicht ganz frei davon). Tatsächlich birgt die Hochsensibilität etliche hochwertige Eigenschaften, von denen die Welt dringend mehr bräuchte. Doch so einfach kann es nicht sein. Wo Licht ist, ist auch Dunkelheit. Man kann vom eigenen “Schatten” wegschauen, d.h., von den Seiten, die man bei sich selbst verdrängt, weil sie einem schönen Selbstbild schaden. Doch das Wegschauen hat einen Preis. Den eigenen Schatten sollte man besser im Blickfeld behalten, sonst wirkt er aus dem Hintergrund oder projiziert sich auf andere. Derzeit gibt es noch sehr wenig Forschung über die dunkle Seite der Hochsensibilität. Hier sind ein paar mögliche Schattenseiten aufgeführt.

Die Kehrseiten der Empathie

Eine der wichtigsten Eigenschaften, die in Verbindung mit Hochsensibilität genannt wird, ist Empathie. Empathie wird zwar oft gefeiert. Sie ermöglicht, sich in andere Menschen einzufühlen und ein Echo ihrer Empfindungen zu fühlen. Teilweise erlaubt Empathie sogar, unterdrückte Gefühle des Gegenübers zu „empfangen“. Das kann in Coaching und Therapie sehr sinnvoll eingesetzt werden, um den Klienten diesen unbewussten oder verdrängten Teil ihres Innenlebens zu spiegeln: So können sie dieser Anteile bewusst werden und sie sich wieder aneignen. Neben der Gefühlsebene hat Empathie auch eine kognitive Ebene: In einer fortgeschrittenen Form ermöglicht sie, sich gedanklich in die andere Person hinein zu versetzen statt nur im unmittelbaren Fühlen zu bleiben. (Vgl. Serge Tisseron, „Empathie et Manipulation“, Paris, 2020.) Denn die emotionale Empathie richtet sich vor allem auf Menschen und Objekte, in denen wir uns ein Stück weit selbst wiedererkennen. Die kognitive Empathie macht möglich, diesen Kreis auszudehnen: Mit ihrer Hilfe können wir uns in die Lebensumstände völlig anderer Menschen hinein denken. Auf diese Weise verstehen wir sie besser, statt sie nach den eigenen Maßstäben oder aus dem Gefühl des Moments heraus oder nach gesellschaftlichen Programmierungen zu beurteilen bzw. verurteilen. Erst mit der kognitiven Empathie bekommt die Empathie eine echte Unterscheidungsfähigkeit. Manche Menschen sind uns zu fremd oder zu unsympathisch, damit unsere emotionale Empathie “anspringt”. Und erst die kognitive Empathie erklärt uns, warum sie dennoch unsere Empathie verdienen. Vielleicht irritiert uns jemand durch eigenartige Verhaltensweisen. Es baut sich keine Empathie auf. Wir wünschten, diese Person wäre weg. Doch dann erfahren wir, durch welche Traumata sie zu dem wurde, was sie heute ist. Dieses Wissen baut eine kognitive Empathie auf, die dann auch einen Raum für emotionale Empathie herstellt. Und umgekehrt kann uns unsere kognitive Empathie auch warnen, dass wir gerade unsere emotionale Empathie den falschen Personen zukommen lassen, weil unser Denken manipulative Absichten aufdeckt. Empathie hat aber auch Kehrseiten. Ob Empathie gut oder nicht gut ist, hängt davon ab, zu welchem Zweck sie eingesetzt wird. Erst einmal schließt eine emotionale Empathie für Nahestehende keineswegs eine starke Abneigung gegenüber Fremden aus. Die hohe Empathie gegenüber der eigenen Gruppe senkt womöglich die Empathie gegenüber Außenstehenden. Diese Abneigung muss durch kognitive Empathie korrigiert werden, also dadurch, dass man sich in den anderen nicht nur hinein fühlt, sondern auch hinein denkt. Empathie kann ausgenutzt werden. So haben zum Beispiel alle Menschen in helfenden Funktionen und Berufen ihre Geschichten darüber, wie bestimmte Kunden, Klienten und Patienten aus reinem Eigennutz an ihre Empathie appelliert haben. Und Empathie ist eine Informationsquelle. Was, wenn eine empathische Person zugleich eine manipulative Seite oder eine psychische Störung hat? Sie kann dann ihre Empathie als wirksames Instrument benutzen, um Informationen über das intime Innenleben, die Schwächen, Ängste und Sehnsüchte anderer Menschen zu gewinnen und sie wirksamer manipulieren. Empathie ist wie jedes andere Werkzeug. Sie kann Schaden anrichten, wenn sie mit unlauteren oder eigennützigen Absichten eingesetzt wird.

Hochsensible und Narzissten:

leider ein Klassiker

Hochsensible Menschen tendieren dazu, mit Narzissten allen Geschlechts zusammenzukommen. Die empathische Zuwendung der hochsensiblen Person zieht Narzissten an und gibt ihnen Nahrung. Wenn der hochsensible Mensch eines Tages endlich seine Hoffnung aufgibt, sein Gegenüber „retten“ oder ändern zu können, besteht die Beziehung schon eine Weile. Die Überwindung zur Trennung fällt umso schwerer. Die Beziehung ist zwar ungesund, aber auch vertraut. Irgendeine weitere Ausrede findet sich immer. Sie bleibt vielleicht auch noch bestehen, wenn für Außenstehende überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist, warum „die noch zusammen sind“. Das Schema wird auch dadurch unterstützt, dass hochsensible Menschen ihre Grenzen schwer ziehen können weil sie sie selbst nicht gut kennen. Sie richten sich häufig nach außen aus, bis hin zur Selbstaufopferung. Das Gegenstück dazu wäre, ein reiferes, autonomeres, mit sich selbst ehrlicheres Selbst aufzubauen, ein höheres Bewusstsein der eigenen Grenzen und der eigenen Werte zu entwickeln und dafür einzustehen, und auch eine Fähigkeit aufzubauen, die eigene Gefühlswelt besser zu lesen, damit sie nicht mehr von anderen manipulierbar ist. Denn es steckt womöglich auch etwas Kindliches, manchmal sogar Trotziges in dieser Außenorientierung des Selbst. Man erkauft sich vielleicht einen gewissen Grad an Anerkennung und Mitgefühl im Umfeld, manipuliert es vielleicht sogar. Aber dahinter steht auch die Weigerung, einen höheren und angemesseneren Grad der Reife und persönlichen Souveränität anzustreben. In der Entscheidung, jemanden “retten” oder auf andere Weise verändern oder “heilen” zu wollen ohne dafür einen Auftrag erhalten zu haben, liegt auch etwas Übergriffiges. In dem Glauben an die eigene Kraft, den anderen Menschen “heilen” zu können, liegt vielleicht auch etwas… Narzisstisches. (“Ich weiß besser als dieser Mensch, was für ihn gut ist.”) Zumindest kann es so wahrgenommen werden. Man mag sagen, diese Aufopferung und Außenorientierung sei vielleicht traumatisch bedingt, weil das eigene Selbst zu schwach ist. Aber ist ein pathologischer Narzissmus das nicht auch? Hier wird ein Tanz zu zweit getanzt, zu zweit genährt, zu zweit verlängert. Da passen Dinge zusammen. Warum? Das paradoxe Geschenk der Narzissten an das empathische Gegenüber besteht darin, ihm das Leben so zunehmend unerträglich zu machen, bis er oder sie endlich den überfälligen Reifungssprung tätigt, und den anstrengenden Schritt tut, das eigene Selbst besser zu definieren und damit narzissistischen Manipulationstechniken nicht mehr so viel Windfläche zu bieten. Übrigens ziehen Hochsensible nicht nur Narzissten an, sondern auch andere “Energiesauger”, die sich an ihnen nähren. Das können etwa Menschen sein, die sehr Ich- zentriert sind, gerne reden und das Zuhören lieber den anderen überlassen. Wenn der hochsensible Mensch sich nicht dazu überwindet, diesen Menschen die Grenzen zu zeigen, wird er zur “Energietankstelle” für Egozentriker aller Couleur. Auch hier besteht das Risiko, ungesunde Situationen durch Mitwirkung zu stützen. Zuletzt sei noch gesagt, dass der Vorwurf des “Narzissmus” gegenüber anderen heutzutage inflationär gebraucht wird, zum Beispiel um nach einer beendeten Beziehung die gesamte Verantwortung für das Scheitern auf die andere Person abzustreifen. Überhaupt sollte man vorsichtig damit sein, psychologische Diagnosen über Mitmenschen aufzustellen, und den Blick auch mal den eigenen narzisstischen Anteilen zuwenden.

Vantage Sensitivity / Differential

Susceptibility

Eine Eigenschaft der Hochsensibilität liegt in der sog. „Vantage Sensitivity“ oder “Differential Susceptibility”, also einer intensiveren Reaktion auf positive und negative Umfelder: Hochsensible Menschen werden von einem wohlgesinnten und unterstützenden Umfeld überdurchschnittlich positiv beeinflusst. Jedoch wirkt ein negatives Umfeld auch überdurchschnittlich schädlich auf sie. “Vantage Sensitivity” / “Differential Susceptibility” bedeutet also eine erhöhte Sensitivität auf das Umfeld - im Guten wie im Schlechten. Die negative „Vantage Sensitivity“ kann den Menschen tatsächlich in große Tiefen fallen lassen, wenn er seinem negativen Umfeld ausgeliefert bleibt (oder ausgeliefert zu sein glaubt). Die Gefahr besteht darin, den Fokus zu sehr auf die negative Seite zu setzen. So übersieht man, dass ein schlechter innerer Zustand kein unausweichliches Schicksal sein muss, und geht vielleicht zu selbstzerstörerischen Verhalten über. Doch auch bei einem zunächst traumatischen Werdegang kann allein schon ein Wechsel in ein positiveres Umfeld bei Hochsensitiven große Heilkraft entfalten. “Vantage Sensitivity” bringt also auch eine verstärkte Resilienz mit sich. (Übrigens ist die Fokussierung auf die Schattenseite der “Vantage Sensitivity” wahrschenlich auch ein Grund, warum auch heute noch Teile der Psychologie Hochsensibilität mit “Neurotizismus” verwechseln und sagen, Hochsensibilität gebe es an sich gar nicht. Neurotizismus ist eine der fünf Persönlichkeitsmerkmale aus dem “Big Five”- Persönlichkeitsmodell und beschreibt einen Hang zu negativen Emotionen.)

Hochsensibilität wird vom

Umfeld nicht immer gut erlebt

Hochsensitive Kleinkinder können für ihre Eltern sehr anstrengend sein. Die Kinder müssen erst lernen, mit den starken Reizfluten umzugehen. Sie reagieren zunächst mit viel Weinen und Schreien und fordern ein mehr Beruhigung und Geborgenheit. Erst später kommt die Sprache hinzu und ermöglicht, die Dinge zu relativieren. Nicht alle Eltern haben die mentalen Werkzeuge oder einfach die Nerven, um damit gut umgehen zu können. Wenn sie mit dem Thema der Hochsensibilität nicht vertraut sind, können sie das Gefühl bekommen, ihr Kind stelle sich an und wolle ihnen das Leben schwer machen, vielleicht als kleiner Tyrann einen Machtkampf gegen sie austragen. Dabei sind die Kinder einfach von einer Reizflut überfordert und müssen den Umgang damit erst noch trainieren. Im späteren Leben können sie sehr zugewandte Kinder sein, an denen ihre Eltern viel Freude haben - voraus gesetzt, es ist am Anfang nicht zu vieles kaputt gegangen. Auch im späteren Leben besteht reichlich Raum für Missverständnisse. Wenn Hochsensible / Hochsensitive / Neurosensitive etwa auf Stress durch Tränen oder Rückzug reagieren, können andere Personen das persönlich nehmen oder meinen, dieser Mensch sei wohl “aus Porzellan”, und sich über “dieses überempfindliche Gehabe” ärgern. Dabei sind es spezifische Reaktionen auf einen vorübergehenden Stau an neurologischen Reizen, die noch unverarbeitet sind. Wenn dieser Stau größer wird, kann schon ein kleiner Stress eine Reaktion auslösen, die für andere schwer verständlich ist. Überreizung führt zu Reizbarkeit. Wer seine eigene Hochsensibilität nicht versteht und sie seinem Umfeld nicht erklärt, riskiert also zahlreiche Missverständnisse - privat, in der Partnerschaft und im Beruf.

Hochsensibilität als Ausrede

Hochsensibilität wird langsam zum Modethema. Zunehmend wird damit auch kokettiert, man will sich damit als etwas Besonderes darstellen, oder es wird zu einer passiv-aggressiven Einstellung. Oder man versucht, bestimmte Verhalten mit der Hochsensibilität zu rechtfertigen, obwohl die Hochsensibilität, wie sie von Elaine Aron und anderen definiert ist, im Bereich der Sinneswahrnehmungen und nicht der Verhalten liegt. Daher auch der wissenschaftlicher Name “Sensorische Verarbeitungssensitivität”. Es teilen zwar viele Menschen einen Hochsensibilität (laut Elaine Aron sind das 15 bis 20% der Menschheit). Aber die Verhalten, die jede und jeder für sich daraus ableitet, hängen von den eigenen, individuellen Entscheidungen ab und sind nicht durch eine Hypersensitivität vorbestimmt. Wenn jemand allzu gerne seine Hochsensibilität betont, kann es in manchen Fällen sein, dass damit die anderen dazu gebracht werden sollen, dass sie sich an die Bedürfnisse der vermeintlich hochsensiblen Person anpassen, sie mit Samthandschuhen anfassen, nicht zu viel von ihr fordern. Das kann in Richtung Manipulation und sogar Narzissmus gehen. „Nicht ich muss meinen Platz in der Welt finden, sondern alle anderen müssen sich an mich anpassen. Ich bin ja so sensibel.“ Oder es wird daraus eine Ausredenkultur und Opferrolle gestrickt, die zwar zunächst komfortabel ist. Aber wie jede selbst gebastelte Opferrolle läuft sie letztlich auf eine Selbstentmachtung hinaus, statt die persönliche Souveränität zu stärken. Was bleibt am Ende? Selbstverschuldeter Stillstand. Dem Selbstwertgefühl tut das nicht gut.

Ein instabiles Selbst(bild)

Das Selbst eines Menschen ist ein System. Ein gesundes System braucht gesunde Grenzen. Hochsensible können sich innerlich kaum von ihrem Umfeld isolieren. Sie saugen die Reize aus dem Umfeld auf. Durch diese Zwangsverbundenheit weht auch ein ständiger Luftzug durch die Persönlichkeit. Die Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt verschwimmen. Das Selbst(bild) kann instabil sein, weil äußere Einflüsse es immer wieder beeinflussen und in eine andere Richtung verschieben. Was gestern noch als wahr und verlässlich erschien, kann heute wieder in Frage stehen. Die spirituell Interessierten mögen sagen, dass das Fließende dem wahren Selbst mehr entspricht als das Feste. Das Fließende passt sich den Herausforderungen besser an. Es gibt Schwierigkeiten zu überwinden, aber hinterher kehrt man zu einer inneren Heimat zurück, einem Ort der Stabilität, einem festen Persönlichkeitskern. Aber was ist, wenn da wenig Stabiles im Inneren zu sein scheint? Wenn sowohl die innere als die äußere Welt als ständig unbeständig erlebt werden, kann es schwer werden, bei sich diesen verlässlichen, stabilen Persönlichkeitskern zu finden, von dem aus das Leben aufgebaut werden kann. Vielleicht wird irgendwann die Hoffnung aufgegeben, doch einmal das eigene Leben meistern zu können. Und wer die eigenen Grenzen nicht gut erkennen kann, kann das wahrscheinlich auch nicht bei den anderen. So kann es sein, dass ein hochsensibler Mensch jemand anderen in einem schlechten Zustand sieht und voller Empathie und Hilfsbereitschaft auf ihn zugeht, aber Wut und Ablehnung kassiert. Warum? Weil es zu früh war: Wenn man jemandem zu nahe kommt, ohne vorher eine belastbare Vertrauensbezieheung aufzubauen, ist das ein unerlaubtes Eindringen in die Intimsphäre des Mitmenschen und aktiviert dessen Selbstschutz. Wer diese Erfahrung der Ablehnung öfters macht, kann irgendwann mit der Vermeidung von Nähe reagieren. Dabei wäre es sinnvoller, sich darüber Gedanken zu machen, wo die eigenen Grenzen liegen, wo die Grenzen der anderen liegen, und dass es nicht einfach Nähe oder Nicht- Nähe gibt, sondern dass sich Nähe in Stufen und ohne Hast aufbaut, genauso wie sich Grenzen in Stufen abbauen.

Konfliktvermeidung verhindert

Fortschritte in Beziehungen und

Persönlichkeitsentwicklung

Der Hang zur Konfliktvermeidung entsteht insbesondere daraus, dass unangenehme Situationen für Hochsensible tief erlebt werden und lange nachklingen, manchmal Tage, Wochen, Jahre lang. Das Vermeiden von Konflikten kann beispielsweise dazu führen, dass manche Hochsensiblen Unrecht sehen oder erleben und nichts tun, und dass sie eine schädigende Situation durch Stillschweigen letztlich mittragen. Auf der Schattenseite der Hochsensibilität kann eine gewisse Feigheit und Bereitschaft für Ausreden stehen - und das sei hier mit viel Respekt gesagt, von jemandem, der das von sich selbst kennt. Und wer auch eine Gehaltsverhandlung als Konfrontation sieht, setzt sich vielleicht nicht für ein besseres Einkommen ein, erbringt zwar Leistung, bekommt dafür aber keine gebührende Gegenleistung, und endet womöglich in der inneren Kündigung oder gerät in den Kreis der Selbstabwertung. In Beziehungen kann der Hang zur Konfliktvermeidung dazu führen, dass sich langsam das Gift des Nichtgesagten und des Grolls ansammelt, statt dass erforderliche Entwicklungen und Veränderungen angestoßen werden. Die Beziehung sollte einen neuen Reifegrad erreichen, aber der Anstoß dazu kommt nicht. Gerade die Themen, die man sich nicht anzusprechen traut, sind oft der Keim künftiger Krisen, an denen die Beziehung letztlich zerfällt. Beziehungen sind auf dem Pfad menschlicher Entwicklung wichtige Fortbildungsangebote des Lebens. Vor lauter Konfliktvermeidung in Beziehungen kann es sein, dass das Leben uns Lehren auf den Weg mitgeben will und diese Lehren nicht ankommen. Und so verlaufen und enden dann aufeinander folgende Beziehungen immer wieder auf ähnliche Weise. Wir sind dann vielleicht so darauf fokussiert, den verschiedenen Partnern oder Partnerinnen die Schuld zu geben, dass wir für unsere eigenen Verhaltensmuster blind bleiben. Und auch dafür, wie sehr die Verhalten der anderen vielleicht auch Reaktion auf unsere eigenen sind. Wir sehen deutlich, was andere uns antun, aber nicht die Schattenseite, nämlich was wir den anderen antun. Dass da ein Beziehungsmuster vorliegt und abgelegt werden sollte, wird, wenn überhaupt, erst nach mehreren schmerzlichen Durchgängen deutlich.

Die Gefahr der angestauten

Ressentiments

Hochsensible Menschen erleben öfter als andere erniedrigende Situationen. Denn sie tun sich schwerer als andere, ihre Grenzen zu setzen oder überhaupt zu sehen. Daher werde diese Grenzen öfter übertreten – manchmal auf sehr grobe Weise. Oder der hochsensivitive Mensch, oft kreativ, liefert Ideen und sieht, wie andere sie sich aneignen. Weil bei Hochsensibilität Verletzungen ein Leben lang unausweichlich sind, und weil sie lange nachklingen, ist es wichtig, zu lernen, mit ihnen umzugehen und sie kreativ umzuwandeln. Ohne diese innere Alchemie, die diese negativen Stauungen in etwas Höherwertiges verwandelt, können Selbstverachtung, Gefühle der Ohnmacht und Ressentiments entstehen. Unangenehme bis traumatische Erlebnisse führen vor allem dann zu Langzeitfolgen, wenn dabei auch Machtlosigkeit bzw. Ohnmacht erlebt wird. Dann setzen sie sich nämlich erst recht in der bewussten oder unbewussten Erinnerung fest. Es lauern möglicherweise Traumaspätfolgen und Depressionen. Oder es entsteht ein Gefühl, dem Leben weitgehend ausgeliefert zu sein, statt ihm selbstwirksam zu begegnen. Und Ressentiments können sich anstauen, zu Vorurteilen und schlimmstenfalls Rachegelüsten werden. Die müssen zwar nicht ausgelebt werden. Aber manchmal werden sie es. Hochsensibilität schließt keineswegs unsensibles Handeln aus. Und sie schließt auch Gewalt nicht aus, gegen andere oder sich selbst. Um dem beizukommen, ist ein ehrlicher Blick auf diese verdrängten Regungen in den dunklen Winkeln der Persönlichkeit, also “Schattenarbeit” nötig.

Die Gefahr der

Lebensvermeidung

Dass das Erleben unangenehmer Situationen oder intensiver Reizfluten so anstrengend ist, kann zur Meidung einer wachsenden Zahl an Situationen führen, nur weil dort die theoretische Möglichkeit besteht, sich schlecht zu fühlen. So könnte man viel Spaß auf der nächsten Party haben und interessante Leute treffen, geht aber gar nicht mehr zu Partys. Am Ende können wesentliche Aspekte und ganze Bereiche des Lebens in die zunehmend lebensfressende Vermeidungszone verbannt sein. Es wird nur noch ein weitgehend verstecktes Dasein geführt. Der Mensch kann sich dadurch weit weg von seiner Berufung bringen, und auch interessante Begegnungen aufgeben. Oder sein Leben kann zum Stillstand kommen – bis hin zur Selbstaufgabe oder zum Suizid als ultimative Lebensvermeidung. Diese Lebensvermeidung muss nicht, kann aber mit einer Opferhaltung oder Verbitterung einher gehen. Die eigene Lebensvermeidung wird erträglicher gemacht, indem anderen oder der ganzen Gesellschaft die Schuld gegeben wird. Verpasste Begegnungen aller Art tun weniger weh, wenn man sich sagt, dass die anderen ohnehin Idioten sind. Solch eine Einstellung kann auch eine Belastung für Nahestehende sein, die der hochsensiblen Person Lebendigkeit und das Erleben ihrer Berufung wünschen, aber damit immer wieder ins Leere laufen. Es kann aber auch sein, dass es kaum Nahestehende gibt, sondern vor allem Einsamkeit. Oder vielleicht wird ein Angepasstsein bis hin zum Konformismus gelebt. Die eigene Kreativität findet keinen Platz mehr und diese Abkehr wird durch Ausreden erträglicher gemacht - oder durch das üppige digitale Unterhaltungsangebot, das die Lebensvermeidung deutlich leichter (und verlockender) macht. Die Lösung besteht in der Regel darin, sich genau dem zuzuwenden, das man bisher vermied, und beschließt, den damit verbundenen Schmerz für eine Weile auszuhalten, bis er ausklingen kann. Oft ist das gar nicht so schlimm: Sobald man etwas anschaut, vor dem man Angst hat, wird es ein ganzes Stück kleiner. Und vielleicht will es uns nicht einmal schaden und es war alles nur ein Missverständnis. Wenn der hochsensible Mensch nicht irgendwann über seinen Schatten springt und wieder zur Selbstwirksamkeit und persönlichen Souveränität findet, kann er in die innere Leere bis hin zur Depression rutschen. Eine schwierige Situation überwunden und gemeistert zu haben ist eines der höchsten Gefühle. Den Mut dafür aufbringen fällt leichter, wenn man Unterstützung hat - aus dem privaten Kreis oder Therapeuten bzw. Coachs.

Die Suche nach dem

Selbstvertrauen am falschen Ort

Vielen hochsensiblen Menschen mangelt es an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, und sie kommen in die Spirale der Vermeidungen und ärgern sich vielleicht darüber, dass sie so wenig Selbstvertrauen besitzen. Es kann der Fehlglaube entstehen, Selbstvertrauen könne man sich vielleicht herbei lesen oder durch Webinare oder Motivationswochenenden nachhaltig aufbauen. Aber wie soll wahres Selbstvertrauen etwas sein, das von außen kommen kann? Das wäre doch nur eine Abhängigkeit von den anderen und davon, was sie tun, sagen und denken. In Wirklichkeit hat es mit Handeln und mit dem Aufbau innerer Einheit zu tun. Um dem Mangel an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl entgegen zu wirken, sollten Hochsensible Mut fassen, ins Handeln kommen, dabei Lehren sammeln und Fähigkeiten aufbauen und entdecken, welche inneren Uneinigkeiten durch das Handeln aufgedeckt werden und wieder versöhnt werden wollen. Manche Menschen sind durch das Bewahren ihres Urvertrauens mit Selbstvertrauen gesegnet. Für die anderen entsteht es aus dem Handeln und der dabei gemachten Erfahrung, dem Leben mit zunehmender Kompetenz zu begegnen. Je mehr Situationen gemeistert werden, desto mehr Vertrauen entsteht, auch mit dem Rest fertig zu werden. Und es ist ein nachhaltiges Selbstvertrauen, weil es von innen entsteht. Und jede festgestellte Fähigkeit, jede aufgedeckte innere Ressource, jede Erfahrung und jede Freude am Können ist wie ein Puzzlestück. Irgendwann sind ausreichend Puzzleteile vorhanden, damit sich ein Gesamtbild abzeichnet, das den eigenen Weg weist. Selbstvertrauen entsteht, wenn man sich auf den eigenen Weg begibt, eine Hürde nach der anderen meistert und dabei wohlwollend auf die eigenen Anfängerfehler schaut, das eigene Kompetenzerleben und die eigene Freude am Können aufbaut und dadurch die eigene Weltreichweite Schritt für Schritt ausdehnt. Lesen Sie auch: Coaching für hochsensible Menschen Hochsensibilität am Arbeitsplatz und im Management Weitere Artikel und Blogs Ablauf einer ersten Coachingsitzung Kontakt und Terminvereinbarung