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Wir suchen Lösungen gern in Worten. Und dann denken und diskutieren wir mithilfe
anderer Worte über diese Worte. Und so ergeben sich manchmal - im Menschen und
zwischen Menschen - gedankliche Spiralen, die im Extremfall in sich selbst
verschlungen sein können und nirgendwo hin führen. Wir kommen aus den
„selbstreferenzierenden“ Schleifen und Spiralen nicht mehr heraus. Oder wir erleben,
wie andere viel reden und wenig sagen - dann drehen sich dort Worte nur noch um
Worte.
Was gab es eigentlich vor den Worten? Sprache, wie wir sie heute kennen, ist ja in
der Evolution ein relativ junges Gut. Die ältesten Symboldarstellungen, die wir
gefunden haben, sind etwa vierzigtausend Jahre alt. Sprache habe sich etwas später,
schätzungsweise vor dreißig- bis vierzigtausend Jahren gebildet.
In welchen „Schleifen“ waren eigentlich unsere Vorfahren gefangen, als sie Sprache
nicht kannten? Welche Form von innerem Dialog erlebten sie eigentlich damals?
Man kann sie natürlich nicht mehr fragen. Aber man könnte sich vorstellen, dass sie
zum Beispiel bereits mit Zwangsverhalten reagiert haben. Zwangsverhalten sind keine
Störung, sondern ein Lösungsversuch. Der Deckel wird fester auf den Topf gedrückt,
damit er nicht überkocht. Das Umfeld da draußen oder das Unbewusste innen drin löst
zum Beispiel eine schwierige Erinnerung aus, und das Zwangsverhalten bietet eine Art
Ablenkung durch eine Fixierung auf eine Handlung, damit die Erinnerung nicht an die
Oberfläche kommen kann.
Immerhin liegt eines der wichtigen Sprachzentren im Gehirn, das Broca-Zentrum, direkt
am linken primär motorischen Kortex an, der Bewegungen steuert. Das legt die
Vermutung nahe, dass die ersten Worte zunächst Handlungen beschrieben, also
Tuwörter waren, wie „essen“, „trinken“, „jagen“ und andere, die weniger jugendfrei sind.
Mittlerweile ist Sprache weiter im Gehirn verbreitet und vernetzt - sonst wären
abstrakte Konzepte nicht denkbar. Aber zunächst waren Sprache und Handlung
offenbar sehr nahe beieinander.
Wenn ein kleiner Mensch entsteht, ist seine Entwicklung ja auch eine Art
Evolutionsgeschichte im Zeitraffer. Und bevor sein kognitives Selbst entsteht, entsteht
zunächst sein emotionales Selbst. Die rechte Hirnhälfte entwickelt sich früher, als die
linke. So wird es viele Dinge zunächst in Handlungen ausdrücken, z.B. in Bewegungen
oder Geschrei.
Der innere Dialog dürfte auch immer schon Bilder enthalten haben, lange bevor die
Worte kamen. Wenn wir mit dem Unbewussten in Verbindung treten möchten,
dann sind Bilder wahrscheinlich geeigneter als Sprache. Statt also die Dinge in alle
Richtungen zu besprechen und doch nicht auf den Punkt zu kommen, kann es
hilfreicher sein, ein inneres Bild als Metapher aufzubauen und es anschließend in
Richtung des gewünschten Ergebnisses zu verändern. Metaphern sind ein wichtiges
Bindeglied zwischen dem sprachlichen und dem nichtsprachlichen Bereich. Symbole
können dann im Alltag verankern, was in der Metapher ausgearbeitet wurde.
Es könnte sein, dass wir den vorsprachlichen oder nichtsprachlichen Bereich des
Menschen allzu sehr vernachlässigt haben. Sprache ist ja auch immer bereits
Interpretation. Sprache ist nicht der Honig im Glas, sondern das Etikett auf dem
Glas. Oder, wie der polnische Denker Alfred Korzybski es sagte: "Die Landkarte ist
nicht das Territorium, aber wenn die Landkarte der Struktur des Territoriums ähnlich ist,
ist sie brauchbar."
Die Gefahr: Wir können uns mit Sprache sehr von der Wirklichkeit entfernen und
es nicht einmal merken, wenn sich Sprache nur selbst anschaut und antwortet und
damit eine Illusion von Schlüssigkeit schafft. Oder wenn wir uns nur mit Menschen
umgeben, die ähnlich denken und sprechen. Sprache kann einen bestimmten Blick auf
die Welt schaffen, der vor allem unsere Annahmen und Vorverurteilungen bestätigt.
Sprache kann uns also von der Wirklichkeit trennen, statt sie nur zu beschreiben.
Das muss nicht immer schlecht sein. Sprache kann der sichere Hafen sein, in den
man zurück kehrt, wenn die Dinge da draußen überfordernd werden. Die Tendenz,
alles zu intellektualisieren, ist zum Beispiel eine typische Überlebensreaktion
intelligenter Kinder auf traumatische Erlebnisse. Man verschanzt sich in der
Geschichte, die man sich über das erzählt, was da draußen passiert, damit es nicht so
weh tut. Dadurch wird das Gefühl oder die Illusion hergestellt, man könne es verstehen
und handhaben. Wie die Zwangshandlung stellt diese „Intellektualisierungstendenz“
einen kleinen Gestaltungsraum innerhalb all der gefühlten Ohnmacht her. Wenigstens
in der inneren Gedankenwelt kann ein Fünkchen der eigenen Kreativität und
Selbstwirksamkeit überleben. Vielleicht gibt man den Dingen dadurch sogar einen
„Sinn“. Jedenfalls scheint das kognitive Selbst einen schützenden Mantel um das
emotionale Selbst zu legen.
Schwierig wird es, wenn man aus dieser Blase nicht zurück kommt und sich
nicht mehr in die nichtsprachlichen Bereiche des Menschen zurück wagt - zum
Beispiel ins wortlose Fühlen. Denn dann muss man ja lernen, mit dem umzugehen,
von dem man so geflissentlich wegschaute. Die Angst vor der Sprachlosigkeit kann
zunächst groß sein, wenn man nach langer Abwesenheit in das Nichtsprachliche
zurück kehrt. Dabei sind dort, jenseits der Sprache und des logischen Denkens,
vielleicht andere Zugänge zu wichtigen Lebensenergien versteckt.
Zudem haben westliche Kulturen den Körper weitgehend vom Kopf getrennt. Das
macht es bestimmt nicht einfacher, die Verbindung zwischen dem Sprachlichen und
dem Nichtsprachlichen wieder herzustellen.
Dabei gibt es noch diese alten Teile im Gehirn, die aus den Zeiten vor der
Sprache stammen. Sie sind nicht verschwunden. Sie stehen auch heute im
inneren Dialog mit unserem Bewusstsein. Sie „sprechen“ noch ständig in uns und
zu uns, aber eben nicht über Worte. Und wir haben vielleicht nicht mehr die richtigen
„Ohren“, um sie zu hören. Und dann wundern wir uns, warum wir mit Sprache nicht alle
Bereiche des menschlichen Mysteriums erreichen können.
Was hat das mit Coaching zu tun? Sehr vieles. Das Coaching übernimmt viele
Ansätze aus dem therapeutischen Bereich, allerdings nicht um einen Menschen zu
heilen, sondern seine Selbstwirksamkeit zu vergrößern, damit er seine Gegenwart und
Zukunft eigenmächtiger gestalten kann, um bewusster und erfüllter zu leben. Und dort
stellen wir eine spannende Entwicklung fest. Psychologische Therapieformen
waren eine Weile lang sehr von Sprache dominiert. In den letzten Jahren und
Jahrzehnten kehren sie aber in verschiedenen Ländern (eher außerhalb Deutschlands)
in Bereiche zurück, in denen Körperempfinden, Emotionen, Aktivierung (statt
medikamentöser Betäubung) der tiefen Gefühlswelten, Bewegungen,
Körperhaltungen, Handlungen, Achtsamkeit, innere Bilder, Symbole, Metaphern,
Hypnose, veränderte Bewusstseinszustände und Rituale Platz finden.
Interessanterweise sind das Dinge, von denen Schamanen und Medizinmänner und -
Frauen wahrscheinlich amüsiert sagen würden, dass sie das doch seit Jahrtausenden
kennen und praktizieren. Es gibt jenseits unseres rationalen Geistes Formen nicht
greifbarer Wirksamkeiten.
Vielleicht schließt sich da ein Kreis?
Deswegen wird auch im Coaching immer mehr auf Bereiche jenseits von
Sprache geachtet. Denn die Lösungen liegen nicht selten im Schatten der Sprache.
Und das Unbewusste und der Körper sitzen bei Veränderungen immer am längeren
Hebel. Also muss man die tieferen Schichten, die für Sprache kaum erreichbar sind, mit
ins Boot nehmen, wenn die Veränderung nachhaltig sein soll, sonst springt sie vielleicht
bald wieder in den früheren Zustand zurück.
Im Coaching können die Momente der Wortlosigkeit ein sehr gutes Zeichen sein:
Etwas Tiefgehendes, noch nicht Beschreibbares, tut sich auf. Die Wortlosigkeit kann
durchaus die Ruhe vor dem bahnbrechenden Aha-Erlebnis sein.
Alexander Hohmann - Blog
Coaching und mehr
Worte versus Nichtsprachliches – Sprachlosigkeit kann wunderbar sein
„Aus vielen Worten entspringt ebensoviel
Gelegenheit zum Missverständnis.“
William James