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In seinen autobiografischen Erzählungen in „Die Welt von Gestern“ wunderte sich der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig über eine verstörende Beobachtung. Er hatte am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts miterlebt, wie ausgerechnet in der eher wohlhabenden und friedlichen Gesellschaft der Hauptstadt Wien die Menschen auf einmal angefangen hatten, erst mit Worten, dann mit Taten aufeinander los zu gehen. Die Auseinandersetzungen entstanden offenbar aus dem Nichts und verhärteten sich zusehends. Ein Anlass zum Streiten fand sich immer. Aber die Wut schien dem Anlass vorauszugehen. Was sich da zwischen Menschen und Menschengruppen entlud, hob sich wenige Jahre später auf die Ebene ganzer Länder. Es endete in zwei Weltkriegen. Heute sehen wir Ähnliches und scheinen nach hundert Jahren einen neuen Anlauf zu nehmen. Gesellschaftliche Themen reihen sich in zwei Seiten ein. „Wenn du nicht mit uns bist, bist du gegen uns.“ Einzelne Äußerungen oder Standpunkte werden verdreht und genutzt, um gleich ganze Weltanschauungen zu unterstellen. Das „Ich“ scheint Gegner zu brauchen, um sich selbst zu bauen. Nicht selten scheint es sich selbst überhöhen zu müssen, indem es auf andere herab blickt und sie als schlechte Menschen sieht. Es ist, als würden ausgerechnet friedliche Zeiten des Wohlstands zu solchen Zweiteilungen, zu solch einem „Dualismus“ tendieren - so wie in der Physik aus dem leeren Raum plötzlich ein Teilchen und sein Antiteilchen entstehen. Materie und Antimaterie. Es ist, als wäre der Mensch ein dualistisches Tier. Die Entstehung seines Selbstbildes verlangt offenbar auch, die eigenen Schattenseiten zu verdrängen. Er will lieber nur den hellen Teil seiner selbst wahrnehmen. Doch wir wissen spätestens seit dem Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung: Was wir verdrängen, taucht anderswo in unserem Leben wieder auf. Wo? In unseren Projektionen auf andere. Wir erkennen unsere verdrängten Schattenseiten in unseren Mitmenschen und fangen an, sie dort zu bekämpfen. Wenn dem Menschen in friedlichen Zeiten die Feinde ausgehen, beginnt er, im eigenen Kopf eine Deutung der Welt aufzubauen, in der er Spaltungen sieht und neue Gegner ausmachen kann. Diese „Erzählung“ verdichtet sich nach und nach, sucht sich täglich Bestätigung, und findet sie auch. Dann verschmilzt der Mensch mit seiner „Erzählung“. Sie wird Bestandteil der “Identität”. Stellt man die Spaltungen in Frage, die dieser Mensch sieht, bedeutet das, seine Identität in Frage zu stellen. Das Spiel des Dualismus hat wieder einen neuen Fußsoldaten. Und wenn sich ausreichend „Truppen“ auf beiden Seiten versammeln, wächst die Größenordnung der Auseinandersetzung: Gruppen, Gesellschaftsschichten, Länder, Kontinente… Es ist, wie als gäbe es da eine Wippe, wie auf einem Spielplatz. Die Wippe hat zwei Seiten. Die Menschen auf der Wippe laden uns ein. Jede Seite sieht sich als die richtige und gerechte und die andere als die schlechte. Die andere Seite sieht es eben genau anders herum. Jede Seite winkt uns zu sich herbei, damit wir uns zu ihr setzen, und klingt manchmal sogar sehr vernünftig. Jede Seite hat ihre Tricks, unsere Aufmerksamkeit zu sich zu reißen und uns das Nichtwählen als Sünde zu verkaufen. („Wer nicht Partei ergreift, unterstützt damit die Gegenseite.”) Es wird viel Energie eingesetzt. Emotionen brodeln. Die Wippe quietscht laut. Und doch bewegen sich alle nur auf der Stelle. So tief im Menschen dieser Dualismus zu stecken scheint, so deutlich wird immer mehr der Preis sichtbar, den wir dafür zahlen, wenn so vieles in Gegensätze auseinander fällt.

Wie beendet man dieses Spiel?

Indem wir nicht mehr der Einladung folgen, uns auf die Wippe zu setzen. Denn wenn wir uns zu der einen oder anderen Seite der Wippe gesellen, stärken wir nicht diese Seite, sondern wir nähren in Wirklichkeit das gesamte Spiel. Aufmerksamkeit ist Energie und nährt das, auf das sie sich richtet. Die wahre Wahl besteht also nicht zwischen der einen und der anderen Seite auf der Wippe, sondern darin, ob wir bei diesem Spiel überhaupt mitmachen - oder nicht. Wenn wir absteigen, sehen wir das Spiel als Ganzes. Vielleicht beginnen wir dann, es zu durchschauen. Absteigen ist aber gar nicht so einfach. Denn den eigenen Dualismus überwinden bedeutet, unsere innere Zweiteilung zu überwinden. Wir müssen dafür die Verantwortung für unsere dunklen Seiten übernehmen, statt sie in den anderen zu sehen. Sonst bleiben wir auf der Wippe. Wie kommen wir dort heraus? Gut ist, wenn wir in die dunklen und unappetitlichen Ecken unserer eigenen Person schauen und den dunklen Zwilling finden, der sich so gern (per Projektion) mit fremden Gesichtern kleidet. Wie geht das? Stellen Sie sich zum Beispiel nicht nur die Frage, was andere Ihnen alles angetan haben. Sondern fragen Sie sich auch einmal, was Sie anderen angetan haben. Gut ist auch, all die inneren Anteile unserer selbst wahrzunehmen und zu ehren, die in unserem Lebenslauf verletzt zurück geblieben sind. (Wir sehen sie oft nicht. Sie bleiben unsichtbar und schützen uns damit vor Schmerz. Aber sie wirken in unserem Leben mit. Sie zeigen sich zum Beispiel durch immer wiederkehrende Erfahrungen und Erlebnismuster.) All das kann zur Erkenntnis führen, dass wir nicht sind, wer wir zu sein glauben. Das kann vorübergehend verwirren. Es kann sogar das erschüttern, was wir „Identität“ nennen und vielleicht doch nur eine „Erzählung“ ist. Das geht lieber in kleinen Schritten, mit viel Wohlwollen und Umsicht und im respektvollen Miteinander. Sonst verstecken sich unsere inneren Anteile wieder. Darin sind sie sehr geübt. Die Ehrlichkeit mit sich selbst ist dafür unerlässlich. Nur so kann das Wegschauen enden. Nur aus der Ehrlichkeit mit sich selbst heraus kann eine Unterscheidungsfähigkeit erblühen, die uns mit mehr Milde auf andere schauen lässt und die Projektionen auf sie beendet. Nur aus ihr heraus können die Verhandlungen zwischen unseren vielen inneren Seiten aufgenommen werden, damit am Ende die innere Aufteilung zwischen Licht und Schatten überwunden werden kann. Die inneren Spaltungen können heilen. Das innere Miteinander hellt auf. Die innere Ganzheit kommt in Sicht. Ein wichtiger und ganz persönlicher Entwicklungsschritt ist erreicht. Wir beginnen, das große Ganze und nicht mehr die Spaltungen in der Welt zu nähren. Der Dualismus hat einen Fußsoldaten weniger und wird schwächer. Vielleicht gehen ihm eines Tages sogar die Truppen ganz aus?

Alexander Hohmann - Blog

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Alexander Hohmann

Zertifizierter Life Coach

& Business Coach

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In seinen autobiografischen Erzählungen in „Die Welt von Gestern“ wunderte sich der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig über eine verstörende Beobachtung. Er hatte am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts miterlebt, wie ausgerechnet in der eher wohlhabenden und friedlichen Gesellschaft der Hauptstadt Wien die Menschen auf einmal angefangen hatten, erst mit Worten, dann mit Taten aufeinander los zu gehen. Die Auseinandersetzungen entstanden offenbar aus dem Nichts und verhärteten sich zusehends. Ein Anlass zum Streiten fand sich immer. Aber die Wut schien dem Anlass vorauszugehen. Was sich da zwischen Menschen und Menschengruppen entlud, hob sich wenige Jahre später auf die Ebene ganzer Länder. Es endete in zwei Weltkriegen. Heute sehen wir Ähnliches und scheinen nach hundert Jahren einen neuen Anlauf zu nehmen. Gesellschaftliche Themen reihen sich in zwei Seiten ein. „Wenn du nicht mit uns bist, bist du gegen uns.“ Einzelne Äußerungen oder Standpunkte werden verdreht und genutzt, um gleich ganze Weltanschauungen zu unterstellen. Das „Ich“ scheint Gegner zu brauchen, um sich selbst zu bauen. Nicht selten scheint es sich selbst überhöhen zu müssen, indem es auf andere herab blickt und sie als schlechte Menschen sieht. Es ist, als würden ausgerechnet friedliche Zeiten des Wohlstands zu solchen Zweiteilungen, zu solch einem „Dualismus“ tendieren - so wie in der Physik aus dem leeren Raum plötzlich ein Teilchen und sein Antiteilchen entstehen. Materie und Antimaterie. Es ist, als wäre der Mensch ein dualistisches Tier. Die Entstehung seines Selbstbildes verlangt offenbar auch, die eigenen Schattenseiten zu verdrängen. Er will lieber nur den hellen Teil seiner selbst wahrnehmen. Doch wir wissen spätestens seit dem Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung: Was wir verdrängen, taucht anderswo in unserem Leben wieder auf. Wo? In unseren Projektionen auf andere. Wir erkennen unsere verdrängten Schattenseiten in unseren Mitmenschen und fangen an, sie dort zu bekämpfen. Wenn dem Menschen in friedlichen Zeiten die Feinde ausgehen, beginnt er, im eigenen Kopf eine Deutung der Welt aufzubauen, in der er Spaltungen sieht und neue Gegner ausmachen kann. Diese „Erzählung“ verdichtet sich nach und nach, sucht sich täglich Bestätigung, und findet sie auch. Dann verschmilzt der Mensch mit seiner „Erzählung“. Sie wird Bestandteil der “Identität”. Stellt man die Spaltungen in Frage, die dieser Mensch sieht, bedeutet das, seine Identität in Frage zu stellen. Das Spiel des Dualismus hat wieder einen neuen Fußsoldaten. Und wenn sich ausreichend „Truppen“ auf beiden Seiten versammeln, wächst die Größenordnung der Auseinandersetzung: Gruppen, Gesellschaftsschichten, Länder, Kontinente… Es ist, wie als gäbe es da eine Wippe, wie auf einem Spielplatz. Die Wippe hat zwei Seiten. Die Menschen auf der Wippe laden uns ein. Jede Seite sieht sich als die richtige und gerechte und die andere als die schlechte. Die andere Seite sieht es eben genau anders herum. Jede Seite winkt uns zu sich herbei, damit wir uns zu ihr setzen, und klingt manchmal sogar sehr vernünftig. Jede Seite hat ihre Tricks, unsere Aufmerksamkeit zu sich zu reißen und uns das Nichtwählen als Sünde zu verkaufen. („Wer nicht Partei ergreift, unterstützt damit die Gegenseite.”) Es wird viel Energie eingesetzt. Emotionen brodeln. Die Wippe quietscht laut. Und doch bewegen sich alle nur auf der Stelle. So tief im Menschen dieser Dualismus zu stecken scheint, so deutlich wird immer mehr der Preis sichtbar, den wir dafür zahlen, wenn so vieles in Gegensätze auseinander fällt.

Wie beendet man dieses

Spiel?

Indem wir nicht mehr der Einladung folgen, uns auf die Wippe zu setzen. Denn wenn wir uns zu der einen oder anderen Seite der Wippe gesellen, stärken wir nicht diese Seite, sondern wir nähren in Wirklichkeit das gesamte Spiel. Aufmerksamkeit ist Energie und nährt das, auf das sie sich richtet. Die wahre Wahl besteht also nicht zwischen der einen und der anderen Seite auf der Wippe, sondern darin, ob wir bei diesem Spiel überhaupt mitmachen - oder nicht. Wenn wir absteigen, sehen wir das Spiel als Ganzes. Vielleicht beginnen wir dann, es zu durchschauen. Absteigen ist aber gar nicht so einfach. Denn den eigenen Dualismus überwinden bedeutet, unsere innere Zweiteilung zu überwinden. Wir müssen dafür die Verantwortung für unsere dunklen Seiten übernehmen, statt sie in den anderen zu sehen. Sonst bleiben wir auf der Wippe. Wie kommen wir dort heraus? Gut ist, wenn wir in die dunklen und unappetitlichen Ecken unserer eigenen Person schauen und den dunklen Zwilling finden, der sich so gern (per Projektion) mit fremden Gesichtern kleidet. Wie geht das? Stellen Sie sich zum Beispiel nicht nur die Frage, was andere Ihnen alles angetan haben. Sondern fragen Sie sich auch einmal, was Sie anderen angetan haben. Gut ist auch, all die inneren Anteile unserer selbst wahrzunehmen und zu ehren, die in unserem Lebenslauf verletzt zurück geblieben sind. (Wir sehen sie oft nicht. Sie bleiben unsichtbar und schützen uns damit vor Schmerz. Aber sie wirken in unserem Leben mit. Sie zeigen sich zum Beispiel durch immer wiederkehrende Erfahrungen und Erlebnismuster.) All das kann zur Erkenntnis führen, dass wir nicht sind, wer wir zu sein glauben. Das kann vorübergehend verwirren. Es kann sogar das erschüttern, was wir „Identität“ nennen und vielleicht doch nur eine „Erzählung“ ist. Das geht lieber in kleinen Schritten, mit viel Wohlwollen und Umsicht und im respektvollen Miteinander. Sonst verstecken sich unsere inneren Anteile wieder. Darin sind sie sehr geübt. Die Ehrlichkeit mit sich selbst ist dafür unerlässlich. Nur so kann das Wegschauen enden. Nur aus der Ehrlichkeit mit sich selbst heraus kann eine Unterscheidungsfähigkeit erblühen, die uns mit mehr Milde auf andere schauen lässt und die Projektionen auf sie beendet. Nur aus ihr heraus können die Verhandlungen zwischen unseren vielen inneren Seiten aufgenommen werden, damit am Ende die innere Aufteilung zwischen Licht und Schatten überwunden werden kann. Die inneren Spaltungen können heilen. Das innere Miteinander hellt auf. Die innere Ganzheit kommt in Sicht. Ein wichtiger und ganz persönlicher Entwicklungsschritt ist erreicht. Wir beginnen, das große Ganze und nicht mehr die Spaltungen in der Welt zu nähren. Der Dualismus hat einen Fußsoldaten weniger und wird schwächer. Vielleicht gehen ihm eines Tages sogar die Truppen ganz aus?